1. Kapitel

Der Tod

Der Anblick der Grabsteine war für Anna nie etwas schockierendes oder unheimliches. Im Gegenteil, die Grabsteine strahlten Ruhe aus, geheimnisvolles….. manchmal ging sie zwischen den Gräbern spazieren, die Inschriften auf den Steinen lesend. Am liebsten schaute sie die Gräber der Kinder an, oft waren kleine, runde, glänzende Bilder des verstorbenen Kindes auf dem Stein, lächelnde Kinder, lebende Kinder. Da sie zu dieser Zeit selbst noch ein Kind war, fand sie es besonders traurig, als Kind sterben zu müssen.

Am meisten liebte sie den Blick auf den Friedhof zu Allerheiligen, wenn auf den Gräbern Kerzen brannten. Sie schaute dann abends vom Balkon aus auf den Friehof und die vielen roten Lichter. Was der Tod mit einem Menschen macht, glaubte sie zu wissen: Einen weißen, wächsernen Körper. Manchmal sahen die Menschen ganz anders aus wenn sie tot waren als zu Lebzeiten. Den ersten toten Menschen sah sie, als sie acht Jahre war. Es war ihre Tante, die an Krebs gestorben war. Der Sarg war offen, da lag eine dünne, weiße Gestalt die sie nicht kannte. Alle um sie herum weinten, ihre Gedanken wiederholten sich immer wieder „Sehen sie denn nicht, dass es nicht die Tante ist? Sie ist es nicht, nie war sie so mager, so blass." Sie flüsterte ihrer Mutter ins Ohr, „Du, das ist ja nicht die Lilli Tant`, die hat ja ganz anders ausgeschaut", ihre Mutter streichelte ihr übers Haar mit den Worten:

„ Doch, doch, sie war lange krank".

Danach sah sie noch viele Tote. Sie wusste, wenn die Tür der Leichenhalle offen war, dann wird ein Sarg gebracht, das konnte sie vom Fenster aus sehen. Dann lief sie mit den anderen Kindern hinüber, um zu sehen, ob der Sarg offen ist, und man einen Blick auf den Toten werfen konnte. Als sie zwölf war, ertrank eine Mitschülerin, in dem Fluß, in dem sie alle im Sommer geschwommen sind, auf dem sie im Winter Schlittschuh gelaufen waren. Margit, so hieß sie, lag in einem weißen Kleid im Sarg.  Es war das Kleid, welches sie zur Erstkommunion getragen hatte. Sie hatte merkwürdig verfärbte Lippen und ein bläuliches, aufgedunsenes Gesicht.

Als sie vierzehn war, starb ein fünfzehnjähriger Junge, mit dem sie eine halbe Stunde bevor er starb, noch im Hof Völkerball gespielt hatten. Er sah ganz komisch aus, denn sie hatten ihm den Kopf aufgeschnitten und wieder zugenäht, man konnte die Naht sehen. Gehirnblutung sagten sie.

Danach hörte sie auf die Toten anzusehen.